Unterwegs mit dem Wind
von Wolgast auf den Högakull

Juli 2024

Mit dem Wind ...  

… über die Düne zum „Otto-Strand“ gepilgert und mich umgeschaut. War ganz schön voll, an diesem warmen Sommertag. Gleich neben unserem Strandschild bauten zwei Zwerge unter Aufsicht ihrer Großeltern an einer Sandburg. Genaugenommen handelte es sich bei dem Bauwerk um einen Sandhügel von bereits recht imposanter Höhe. Die beiden schippten mit Feuereifer. „Wir bauen bis zum Himmel!“, rief der eine, während er die nächste Schippe mit
trockenem Strandsand auf den Hügel feuerte. Also eigentlich nur die halbe. Die andere Hälfteregnete als feinkörniger Fallout auf das betagte Aufsichtspersonal nieder.
„Nu lass mal die Kirche im Dorf“, brummte der Opa und schüttelte zum wiederholten Mal den Sand aus seiner Illustrierten, während Oma versuchte, die beiden Baumeister mit einem bereits leicht angeschmolzenen Schokoriegel von ihrer Arbeit abzulenken. Begeisterung über den Tatendrang der Enkel sah anders aus. Und so ganz altersgerecht war der Opa-Spruch auch nicht.

Zu Hause habe ich dann mal nachgeschaut, worauf sich die Redensart „Die Kirche im Dorf lassen“eigentlich bezieht. Dank Google reichte ein Tastendruck, und nach der Lektüre mehrerer Artikel war ich tatsächlich schlauer. Früher – wie mancherorts auch noch heute – zogen die Prozessionen der katholischen Kirche durch das Dorf. Die Fronleichnamsprozession mit dem Allerheiligsten, die Palmprozession am Palmsonntag sowie Segensprozessionen und Flurprozessionen, bei denen Fahrzeuge oder bestimmte Orte mit Weihwasser besprengt wurden. Aber auch zum Kirchweihfest oder anderen Anlässen zeigte die Kirche Präsenz in Form von prachtvollen Aufmärschen quer durch den Kiez. Allerdings waren die meisten Dörfer recht klein. Außerdem kamen zu solchen Festen auch immer viele Menschen von den Bauernhöfen der näheren Umgebung ins Dorf. Manchmal waren die Menschen gar so zahlreich und die Dörfer wiederum so winzig, dass den Kirchenoberen der Weg durchs Dorf zu kurz erschien. Wenn schon, denn schon, dachten sie und so zog die Prozession am Ortsrand einfach weiter und um das Dorf herum. Ja manchmal sogar über die Wiesen und Felder. Das fanden dann bescheidenere Zeitgenossen allerdings ziemlich übertrieben. Sie mahnten, nicht so zu übertreiben und vom eitlen und prahlerischen Prunk- und Protzgehabe Abstand zu nehmen – kurzum „die Kirche im
Dorf zu lassen“.

Zu viele Teilnehmer an einer Prozession? Ein Übermaß an Prunk und Pracht bei der Fronleichnamsprozession? Unvorstellbar heute! Zumindest in unseren Breitengraden. Aber die Redensart hat überlebt. 

Die Kirche im Dorf lassen. Aus meiner heutigen Sicht ist das eigentlich gar keine so gute Idee. Wenn wir paar versprengten Christen uns klein machen, verstecken und nur unter uns kungeln, dann sind wir doch ein ziemlich trauriges Häuflein in unserer Dorfkirche. Viel lieber sollten wir hinausgehen und Flagge zeigen. Nicht prahlerisch oder als Besser-Menschen, sondern bescheiden. Aber mit einem klaren Bekenntnis zu unseren christlichen Werten: Nächstenliebe, Toleranz, Wahrhaftigkeit aber auch Hilfsbereitschaft, Weltoffenheit und Großmut. Das moralische Fundament unseres Glaubens ist in vieler Hinsicht aktueller denn je. Damit müssen wir uns nun wahrlich nicht in unserem Dorf, in unserer Kirche oder gar den eigenen vier Wänden verkriechen.

Und der Burgenbau am Otto-Strand? Der endete fast babylonisch. Ein monströser Köter vom angrenzenden Hundestrand verspürte offenbar große Lust, an der Gestaltung des Bauwerks mitzuwirken. Sein nicht ganz fachmännischer aber dafür umso tatkräftigerer Pfoteneinsatz bewirkte allerdings das Gegenteil ...
Wie gut, dass Oma die Tröste-Riegel am Start hatte. Angeschmolzen hin oder her. So konnten sich die zwei Baumeister, nach einem kurzen Moment der Trauer, über den wild buddelnden Vierbeiner amüsieren, während Opa, resignierend ob der auf ihn niederprasselnden Sandfontäne, seine Zeitschrift endgültig wegpackte.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen wunderbaren Sommer!