... kam sie nicht zu uns nach Hause, die Grüne Kiste. Und auch DHL, Hermes oder DPD waren nicht an ihrer Zustellung interessiert. Stattdessen haben wir sie jeden Mittwoch zwischen Mitte März und Ende November abgeholt. Pünktlich um 19:30 Uhr erwartete uns die Kiste am evangelischen Pfarrhaus in Wolgast. Und jede Woche waren wir aufs Neue gespannt, welche Überraschungen sie diesmal für uns bereithielt. Waren es im zeitigen Frühjahr oft nur einige Zwiebeln, Möhren und verschrumpelte Äpfel aus dem Vorjahr, die uns vom Boden der Kiste etwas verschämt entgegenblickten, so wuchs und gedieh der Inhalt unserer Grünen Kiste mit jeder Woche, jedem Sonnenstrahl und steigenden Temperaturen. Spätestens im Mai kam die Kiste gut gefüllt mit ersten Salaten, frischer Kresse, Gurken und anderen Kräutern daher. Tomaten, Kartoffeln, Erdbeeren, Johannisbeeren aber auch Trauben, Maronen, Nüsse, Mangold, Rote Beete, Rübchen, Kürbisse, Paprika und eine Vielzahl unterschiedlichster Salate begleiteten uns durchs Jahr. Was blieb, war der Überraschungsmoment. Nie wussten wir, was uns am Mittwoch in der Kiste erwartete und in den darauffolgenden Tagen verarbeitet und verzehrt werden musste. Das erforderte eine gewisse Flexibilität, die wir Supermarkt-Menschen so gar nicht mehr gewöhnt sind. In der Regel kaufen wir im Laden das ein, worauf wir gerade Appetit haben, was uns schmeckt, was wir kennen. Und aufgrund der ganzjährigen Verfügbarkeit der meisten Obst- und Gemüsesorten – Dank oder Fluch der Globalisierung – lassen wir uns die Erdbeeren aus den USA im Februar schmecken, munden die Frühkartoffel aus Marokko bereits im März und genießen wir frische Blaubeeren aus Peru auch im November. Ich bin mal ehrlich: Die Grüne Kiste allein bringt uns ernährungstechnisch nicht durch die Woche. Und, auch das geben ich unumwunden zu: Sie ist ein eigenwilliges Projekt mit einigen Haken und Ösen. Verschrumpelte Möhren im März muss man sich schon schönsehen, wenn nebenan im Supermarkt deutlich attraktivere und auch geschmacklich reizvollere Exemplare in der Auslage locken. Und wenn unsere Kiste im Sommer jede Woche zwei Kilogramm Tomaten enthält oder im Herbst über viele Wochen dicke, fette Kürbisse für lange Arme auf dem Nachhauseweg sorgen und den Speiseplan dominieren, dann wünscht man sich doch etwas mehr Abwechslung. Ja und erst die Sellerieknolle, gegen die meine Frau allergisch ist. Oder der grässliche, schwarze Rettich, für den wir bisher, trotz intensiver Recherche im Internet, keine kulinarisch akzeptable Zubereitungsmethode gefunden haben. Der Mangold im Herbst ist zwar deutlich schmackhafter, sollte aber umgehend verarbeitet werden, obwohl dazu gerade mal wieder die Zeit fehlt. Mit der Grünen Kiste geht es uns fast so wie mit den Geschenken an Weihnachten. Auch da sind wir jedes Jahr aufs Neue gespannt und freuen uns auf die Überraschungen. Aber mit fortschreitendem Lebensalter keimt beim ein oder anderen vor dem Auspacken auch eine gewisse Unruhe auf. Mancher entwickelt sogar eine regelrechte Auspackphobie. Aus den zurückliegenden Jahren wissen wir nämlich: Manchmal treffen die gut gemeinten Gaben so überhaupt nicht unseren Geschmack (die langen Untermänner aus Schurwolle), sind auch objektiv betrachtet einfach scheußlich (die olivgrüne Vase in Urnenform), passen nicht (der selbstgestrickte Pullover von Oma Elfi), sind eigentlich eher Arbeitsaufträge (das neue Bügeleisen), verplanen unsere Zeit mit Dingen, die wir so nie machen würden (Fallschirmsprung oder Jahreskarte fürs Heimatmuseum) oder verströmen einen intensiven Eigengeruch nach Pflichtgeschenk. Bedanken? Fällt manchmal wirklich schwer. Wir sollen ja nicht lügen! Ehrlich sein und den Schenkenden enttäuschen? Geht gar nicht! Aber wenn wir nichts sagen, droht im kommenden Jahr mit Sicherheit das nächste Horror-Geschenk. Wir alle kennen diese Szenarien, waren selbst schon in der Rolle des Schenkenden, der komplett danebenlag, oder des unglücklich Beschenkten. Und gibt es eine Lösung für dieses offensichtlich gesamtgesellschaftliche Schenkproblem? Na aber sicher doch! Geld oder – da bleibt allerdings ein Restrisiko – Gutschein! Damit ist man auf der sicheren Seite. Warum? Weil sich die oder der Beschenkte etwas nach seinem Geschmack aussuchen kann. Wie im Supermarkt. Obstregal schlägt Grüne Kiste. Aber Sie alle wissen hoffentlich auch wie das ist, wenn Sie mit einem „richtigen“ Geschenk genau ins Schwarze getroffen haben und der Beschenkte sich „wie Bolle“ freut. Schön, oder? Viel besser als so ein Briefkuvert mit Schein. Irgendwie so real und direkt. Und dann das Leuchten in den Augen des Beschenkten: Unvergleichlich! Wie der Paprika neulich in der Grünen Kiste: ein Träumchen! Uns fehlt es einfach viel zu oft an Mut. Klar liegt man mit einem Geschenk auch mal daneben. Aber stattdessen die einfachste Lösung wählen und zum Geldschein greifen? Nur aus Angst davor, den Empfänger vielleicht zu enttäuschen? Gott hat uns an Weihnachten übrigens auch so ein Geschenk gemacht. Das kam ziemlich unerwartet (nicht nur für Josef), stieß nicht bei jedem auf Begeisterung (tut es auch heute noch nicht), war unbequem, löste bei manch einem Zeitgenossen eine richtige Allergie aus (z.B. König Herodes), machte und macht Arbeit, verplant unsere Zeit, bestimmt unser Leben. Und würden wir heute auf dieses eigenwillige und doch so besondere Geschenk, auf Jesus Christus – das Kind in der Krippe, verzichten wollen? Ich nicht! Vielleicht gelingt es uns vor diesem Hintergrund, unseren Fokus auf die gute Absicht des Schenkenden zu legen und die Liebe, Achtung und Wertschätzung zu erkennen, die er mit seiner – vielleicht nicht ganz geglückten – Gabe uns gegenüber auszudrücken versucht. Dadurch werden zwar die kratzigen Untermänner nicht komfortabler, aber unser Blick auf den Schenkenden und sein Geschenk wird ein anderer. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen Mut zum Schenken und eine besinnliche Advents- und Weihnachtszeit!