… erzähle ich Ihnen heute mal etwas über die schwedische Holzernte. Ernten im Frühling? Ist das nicht eher ein Thema für den Herbst, werde Sie vielleicht fragen. Und so ein Wald wird doch nicht geerntet, sondern gefällt!
Tja, da kennen Sie die schwedische Forstwirtschaft schlecht. Im Land der Seen, Wälder und Elche beginnt jährlich Dezember die Erntesaison für Kiefern-, Fichten-, Tannen- und Mischwälder. Die dauert dann bis Ende März. Theoretisch wäre zwar auch ein Erntebeginn bereits im Oktober möglich, aber da steht ja die in Schweden so beliebte Elchjagd an. Jäger und Holzarbeiter – unterwegs im selben Wald? Das würde ein schönes Gemetzel geben. Waid- oder Waldunfälle wären vorprogrammiert und mit Sicherheit auch der letzte Elch spätestens beim Aufheulen der ersten Motorsäge über alle Berge.
Die schwedische Holzernte unterscheidet sich im Übrigen grundlegend von der klassischen Holzgewinnung im Rest Europas. Sie gleicht der Urwaldrodung im Amazonasgebiet. So werden nicht einzelne Bäume oder Baumgruppen entnommen, sondern riesige Flächen mit Stumpf und Stiel bis auf den letzten, oder zumindest den vorletzten Baum abgeholzt. Die verbliebenen Flächen sehen nach einer solchen “Ernte“ aus wie Mondlandschaften. So kann es vorkommen, dass ein im Frühherbst noch idyllisch im Wald verstecktes schwedenrotes Ferienhaus im folgenden Frühjahr die einzig nennenswerte Erhebung auf einem mehrere Hektar großen Kahlschlag darstellt.
Schrecklich, meinen Sie? Nun ja, schön ist das tatsächlich nicht. Aber ich möchte hier nur mal anmerken, dass unsere Landwirte ja auch nicht vereinzelte Maispflanzen, Rapsblüten oder Roggenähren ernten. Da wird ebenfalls das komplette Feld niedergemacht, verarbeitet und im folgenden Jahr neu bestellt.
Das mit dem Wiederaufforsten ist natürlich auch für den schwedischen Forstwirt ein wichtiger Bestandteil des Skogbruksplans und hat deshalb seinen festen Platz im Erntezyklus eines Waldes. Nur dauert es eben etwas länger – unwesentliche 60 bis 80 Jahre – bis aus einen Tannen- oder Kiefernzapfen ein neuer, erntefähiger Baum herangewachsen ist. Und während der Landwirt nach einem wetterbedingt schlechten Erntejahr in der nächsten Saison einen neuen Anlauf starten kann, muss so ein neu ausgesäter Wald viele Jahrzehnte lang der Witterung trotzen, Stürme überstehen und von Schädlingen und Waldbränden verschont bleiben, bis er erntereif ist.
Nur einmal ernten im Lebens. Und das Ergebnis der eigenen Lebensarbeitsleistung fahren im günstigsten Fall erst die eigenen Nachkommen ein. Vielleicht aber auch ein neuer Besitzer. Da braucht es einen besonderen Blick auf das eigene Leben und Handeln, Zeit, Zukunft und Vergänglichkeit und nicht zuletzt auch eine gehörige Portion Geduld und Gottvertrauen. Ein Lebensmodell, das in unserer schnelllebigen, auf kurzfristige Erfolge ausgerichteten Gegenwart wie aus der Zeit gefallen scheint.
Ein Denken in Jahren oder gar Jahrzehnten, weit über die eigene Lebesspanne hinweg, das klingt irgendwie ziemlich erschreckend. So endgültig und perspektivlos. Schließlich sind wir dann schon tot. Und doch ist es genau das, was sich viele junge Menschen von uns Älteren erhoffen: ein Denken über unseren eigenen, biologisch eng begrenzten Horizont hinaus.
Alles von Relevanz soll sich im Hier und Jetzt abspielen. Während unserer eng begrenzten Lebensspanne auf diesem Planeten. Es gibt es sogar nicht wenige Zeitgenossen, für die aus genau diesem Grund das Ende der Welt – der Untergang der Schöpfung in Chaos und Zerstörung, um schließlich zur Erlösung und Auferstehung zu gelangen – gar nicht schnell genug kommen kann. Zeichen für diesen natürlich unmittelbar bevorstehenden Untergang werden gesucht und gefunden: Das Auftauchen des Halleyschen Kometen am Nachthimmel, der Ausbruch eines Vulkans oder auch besondere Konstellationen der Gestirne. Man möchte mit dabei sein, wenn Gott das Weltengericht ausruft.
Aber dieser Gott, der ist im Herzen ein schwedischer Waldbauer. Der lässt sich nicht drängen und von keiner Glaskugel dieser Welt, von keinem Spökenkieker, sei er nun christlicher, atheistischer oder naturalistischer Couleur, in die Karten schauen. Der nimmt sich Zeit. Ganz anders als wir.
Vielleicht sollten wir es ihm gleichtun und auch einfach mal nur so weitermachen! Das Gute und Richtige. Das Liebevolle und Zukunftsträchtige. Das Nachhaltige und Sorgfältige.