Unterwegs mit dem Wind
von Wolgast auf den Högakull

Juli 2025

Mit dem Wind ... 

… ist mir die folgende Kolumne in den Sinn gekommen. In den Sinn? Aber in welchen der vorhandenen fünf denn eigentlich? Weder habe ich die Gedanken gesehen oder gehört, noch gerochen, geschmeckt oder gar ertastet. Im Gegenteil: Ich habe mir das Hirn zermartert und nach einer guten Idee gesucht.
Klar waren meine fünf Sinne am Denkprozess beteiligt. Aber mehr indirekt, würde ich behaupten. So habe ich verzweifelt in die Luft gestarrt, in mich hineingehorcht, am Kaffee geschnuppert – in der Hoffnung, so den Gedanken ein wenig auf die Sprünge zu helfen -, und schließlich mit einem großen Schluck des leckeren, koffeinhaltigen Heißgetränks nachgeholfen, während ich mit den Fingerspitzen ratlos auf der Schreibtischoberfläche trommelte. So wirklich geholfen hat das aber alles nicht.
Beim Denken sind die Sinne raus. Sie leisten jedoch unverzichtbare Grundlagenarbeit für das Gehirn. Ohne unsere Sinneswahrnehmungen und -erfahrungen, die wir im Laufe des Lebens sammeln, würde unserem Gehirn nämlich der Treibstoff für seine Tätigkeit fehlen. Wie ein Motor ohne Benzin oder Strom nicht läuft, so ist unser Gehirn auf möglichst vielfältige Sinneseindrücke angewiesen, um seine Arbeit Sinn-voll zu verrichten. Vielleicht ist es aus diesem Grund doch gar nicht so weit hergeholt, sich im Rahmen meiner kleinen Kolumne einmal ausführlicher mit unseren fünf Sinnen zu beschäftigen. Und weil Sonne, Meer und Strand im Sommer nach draußen locken, verteile ich die Betrachtung der Sinne mal ganz auf zwei Monate. Wird sonst einfach zu lang. Da sind wir doch einer Meinung?
Riechen, schmecken und tasten. Wir nehmen uns zunächst einmal die „Nebensinne“ vor. Die geraten leicht in Vergessenheit, solange sie funktionieren. Dominieren doch im Alltag ganz eindeutig die visuelle Wahrnehmung und unser Gehör das Quintett.
Da unterscheiden wir uns allerdings von vielen anderen Spezies, die unseren Planeten bevölkern. Unsere Landschildkröte zum Beispiel. Die ist fast taub und sieht im Nahbereich so gut wie gar nichts. Damit ist sie aber kein Fall für den Inklusionsbeauftragten. Das ist nämlich bei Schildkröten ganz natürlich, dieses Defizit beim Hören und Sehen. Stattdessen nehmen sie ihre Umwelt überwiegend riechend war, haben einen guten Geschmacksinn und – auch wenn man das kaum glauben mag – eine sehr gute haptische Wahrnehmung über die Haut. So legen Landschildkröten zum Beispiel bei der Suche nach einem geeigneten Eiablageplatz ihren Kopf auf die Erde, um die Temperatur des Untergrunds zu überprüfen. Probieren Sie das doch mal nachzumachen. Also das Fühlen. Vielleicht am besten im Sommer am Strand und nicht auf dem Bürgersteig vor Ihrer Haustür.
Trotz ihrer, aus unserer Perspektive eher dürftigen sinnlichen Ausstattung, bevölkern Schildkröten übrigens schon seit fast 250 Millionen Jahren – also viel länger als wir Menschen – die Erde. Und richtig alt werden sie auch.
Geschmack und Geruch, da scheiden sich die Geister. Während der Duft eines gut gereiften Appenzellers von dem einen als Wohlgeruch empfunden wird, stinkt der Käse dem anderen ganz gewaltig. Bei Lakritz sieht das ganz ähnlich aus. Der intensive Geschmack des Süßholzproduktes spaltet die Menschheit in Liebhaber und Hasser.
Manchmal sind wir uns aber über sämtliche Ethnien und Altersgrenzen hinweg erstaunlich einig. So kenne ich tatsächlich niemanden, der beißenden Uringeruch in der Unterführung oder den Gestank übergekochter Milch wirklich schätzt.
Geschmacks- und Geruchsempfinden sind über die persönlichen Vorlieben und Abneigungen hinaus oft sozial oder kulturell geprägt. Und sie verfügen, zusammen mit dem Tastsinn, über eine Eigenschaft, die den beiden Hauptsinnen völlig fehlt: Alle drei Sinne sind lernfähig, können geschult und (weiter-)entwickelt werden!
Das bedeutet aber gleichzeitig, dass eine konsequente Vernachlässigung diese Sinne verkümmern lässt. Wer ausschließlich Junkfood in sich hineinstopft, der muss sich nicht wundern, wenn er schließlich den Unterschied zwischen Dinkel- und Weizenmehl nicht mehr erkennt, wenn Äpfel wie Birnen oder Salami wie Kochschinken schmeckt. Und wer sich über Jahrzehnte als Kettenraucher durchs Leben pafft, trägt – abgesehen von diversen weiteren negativen Begleiterscheinungen – erwiesenermaßen kräftig zur Abstumpfung seines Geruchs- und Geschmacksvermögens bei.
Das Riechen, Schmecken und Tasten will also entwickelt, geübt und gepflegt werden. Damit kann gar nicht früh genug begonnen werden. Und wenn man sich um diese drei Sinne ordentlich kümmert, dann altern sie – ganz im Gegensatz zum Sehen und Hören (vom Rest des Körpers wollen wir mal lieber nicht reden) – auch nicht.
So fühlt ein alter Mensch, der seine letzten Tage ans Bett gefesselt in einer Senioreneinrichtung verbringt, ein sanftes, liebevolles Streicheln immer noch genauso wie ein Kleinkind, obwohl zwischen beiden ein ganzes langes Menschenleben liegt.
Also schnuppern Sie sich durch den Tag, schmecken Sie sich durchs Leben und verteilen Sie bei passender Gelegenheit auch gern mal die ein oder andere liebevolle Streicheleinheit! Das trainiert ihre Sinne, kostet maximal ein bisschen Achtsamkeit und hält jung. Besser geht’s doch gar nicht!
Ich wünsche Ihnen einen wunderbar Sinn-erfüllten Start in den Sommer!